Mittwoch, 16. November 2011

Entschleunigen und Innehalten

Schon seit einiger Zeit habe ich bei mir selber festgestellt, dass ich viel zu häufig grundlos hektisch bin und es mir wahnsinnig schwer fällt, wie man so schön sagt, im Hier und Jetzt zu leben. Nicht drei Dinge gleichzeitig zu tun. Nicht ständig innerlich To-Do-Listen abzuarbeiten. Dass ich es nicht schaffe, einfach mal nur aus dem Fenster zu blicken und meinen Gedanken nachzuhängen.

Und ich habe gemerkt, wie mich diese Tatsache schlaucht und mich unglücklich macht. Ich fühle mich gehetzt und innerlich getrieben. Als ob eine äußere Macht mich durch den Tag schieben würde, unter beständigem Zuflüstern "dies musst du noch tun und jenes musst du noch tun...". Dabei will ich doch selber Herr meiner Zeit sein. Und statt mich zu ärgern, was noch alles für Pflichten (oder auch Schönes, aber versehen mit Termindruck) warten, möchte ich das kleine Glück im Augenblick genießen, wie zum Beispiel ein niedliches Kind in der Straßenbahn oder das Zwitschern eines Vogels im November. 

Früher, als Kind und noch als Teenager, da gelang es mir wunderbar im Augenblick zu leben. Stundenlang konnte ich im Bett liegen, Musik hören und mir dabei die allertollsten Geschichten ausdenken. Einfach den Gedanken hinterherhängen. Nichts tun. Nichts produktives.
Das gelingt mir heute nicht mehr. Nicht mal, wenn ich wirklich die Zeit dazu habe! Das finde ich furchtbar. Selbst wenn ich mich hinsetze. Aus dem Fenster gucke. Mit Tee und Kerzenschein. Nach kurzer Zeit beginnt es in mir drinnen zu rumoren. Eine innere Uhr meldet sich, erhebt den Zeigefinger und sagt, dass das ja nun wirklich nicht geht, einfach so unproduktiv Zeit verstreichen zu lassen. Was man in der Zeit alles erledigen könne. Da hätte man ja nachher, wenn alles abgearbeitet ist ganz viel Zeit zum Entspannen. Und dann bin ich wieder hibbelig. Und  später, wenn man dann wieder auf dem Sofa sitzt, weil man alle angeblichen Pflichten erfüllt hat, dann ist der Moment weg. Die Muse. So tolle Ideen wie früher sind mir schon lange nicht mehr gekommen. Und aus meinen früheren Gedankenromanen (die ich ja immer mal bei Zeit und Gelegenheit veröffentlichen wollte, um ein berühmter Autor zu werden) werden höchstens noch Kurzgeschichten oder Essays. Ich möchte meine Kreativität, meine Inspiration zurück.

Wie gesagt, dieses Problem habe ich schon vor geraumer Zeit festgestellt. Aber es zu ändern, das stellt dann doch eine gar nicht so einfach zu bewältigende Aufgabe dar. Häufig merke ich schon selber, wenn ich anfange, gehetzt zu werden. Zum Beispiel, wenn ich esse und dabei aus keinem erfindlichen Grund versuche, den Rekord im Tellerleeren aufstellen möchte. Ich kann mich dann von außen sehen, wie ich gerade alles furchtbar falsch mache, aber ich kann mich nicht steuern, ich kann mich nicht bremsen. Das Einzige, was in solchen Momenten hilft ist, die Gabel aus der Hand zu legen und erst später weiter zu essen, in der Hoffnung, dass man es dann langsamer schafft.

Ich muss also noch sehr an mir arbeiten! Im Urlaub hatte ich ein Buch gelesen, dass mir in diesem Zusammenhang sehr hilfreich erscheint. Das Problem ist es dann nur immer, die Tipps zu beherzigen und die neuen Handlungsempfehlungen mit hinüber in den Alltag zu retten. Seitdem hängt eine Collage über meinem Schreibtisch mit dem Zitat von Balu:
Probier's mal mit Gemütlichkeit; 
Mit Ruhe und Gemütlichkeit. 

Manchmal gelingt es mir schon, alles etwas langsamer zu tun. Den inneren Tempomat abzuschalten. Und ich merke, wie wahnsinnig gut diese Momente sind, in denen ich absichtlich so langsam gehe oder etwas so langsam tue, als sei ich Rudolf Scharping (Immer schöööööön langsam!). Aber oft genug gelingt mir dies nicht. Soviele Dinge würde ich gern tun. Sie machen mir ja auch Spaß. Aber allesauf einmal geht eben nicht (heute wollte ich ja eigentlich mit Socken stricken beginnen).
Außerdem habe ich begonnen, ein Glückstagebuch zu führen. Aber auch das nur anfangs regelmäßig und dann schnell sehr sporadisch. So richtig verankert ist das alles noch nicht in mir drin...

Letzte Woche jedoch ist mir ein Magazin mit einem sehr interessanten Interview zum Thema Zeit und Glück in die Hände geraten. Das Interview wurde geführt mit Mark Riklin, welcher die "Meldestelle für Glücksmomente" gegründet hat und Mitglied ist des "Vereins zur Verzögerung der Zeit". Ich habe das Interview regelrecht verschlungen und in der letzten Woche noch das ein oder andere Mal darüber nachgedacht. Es hat viel in mir angestoßen!



Beim Verein zur Verzögerung der Zeit handelt es sich um ein Netzwerk von Menschen, die sich "verpflichten zum Innezuhalten, zur Aufforderung zum Nachdenken, dort wo blinder Aktionismus und partikuläres Interesse Scheinlösungen produziert". Es geht natürlich nicht darum, die Zeit zu verzögern, um in der kurzen Zeit mehr Dinge erledigen zu können, sondern darum mit der Zeit bewußter umzugehen. Wichtiges von unwichtigem zu trennen. Nach seiner eigenen Zeit zu leben.

Die Meldestelle für Glücksmomente wiederum möchte die Glücksmomente mehr in den Vordergrund stellen. Viele Menschen reden ja nur darüber, was Ihnen schlechtes widerfahren ist. Und so bleibt auch nur das schlechte in der Erinnerung haften. Dabei erlebt jeder, wenn er dafür offen ist, doch tagtäglich Momente des kleinen Glücks. Bei der Meldestelle für Glück können diese dann verkündet und geteilt werden. So schärft man sein eigenes Empfinden für Glücksmomente - und das anderer.


Und irgendwie haben sich nun alle diese Wissensfitzel in meinem Gehirn miteinander versponnen und dabei herausgekommen ist eine Idee(!):
Wenn ich es nicht schaffe, jedem Abend ein Glückstagebuch zu führen, dann schaffe ich es ja vielleicht meinen Blog jeden Sonntag zu einer Meldestelle des Glücks zu machen. Damit schlage ich mehrere Fliegen mit einer Klappe:

  • Ich erlebe die Zeit bewußt, in dem ich sonntags ein Ritual einführe 
  • Ich erlebe die Glücksmomente bewußt, dann wenn ich sie erlebe, weil ich mich später erinnern will und sonntags, wenn ich mich hinsetze und sie aufschreibe
  • Ich vergesse meine guten Vorsätze nicht wieder, da ich Zeugen habe
  • Ich lade euch ein, mitzumachen und auch eure Glücksmomente zu verkünden und kann so vielleicht dazu beitragen, die Welt ein bisschen langsamer und schöner zu machen


Jeden Sonntag poste ich von nun an sieben Dinge, die mich im Verlauf dieser Woche glücklich gemacht haben - für jeden Tag eines. Wer mitmachen will, der tut es mir gleich und postet anschließend einen Link zu seinen Glücksmomenten unter meinem jeweiligen Glücksmomenteeintrag.

Ich glaube das wird toll!

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